Anna Rosenwasser
Liebe Queers, liebe Verbündete. Liebe St. Galler*innen und Gäste. Liebe Damen bis Herren – und liebe Menschen, die sich jenseits dieser komplett erfundenen Binarität befinden.
Liebe Mitmenschen.
Wer von euch wurde schonmal gefragt, warum es überhaupt eine Pride braucht? Wem von euch wurde schonal gesagt, es brauche doch keine Pride mehr? Wer von euch hat es satt, sich solche Aussagen anzuhören?
Wer nicht versteht, warum es Prides braucht, hat die letzten 20 Jahre nicht zugehört. Oder die letzten 20 Monate. Oder auch nur die letzten 20 Tage. Überall wird Stimmung gemacht gegen uns Queers: Die Politik hetzt von rechts, ohne Konsequenzen zu fürchten, und queere Bildung und queere Kultur werden bedroht von Leuten, die sonst gerne gegen Cancel Culture schimpfen. Kolleg, das Einzige, was gecancelt werden muss, ist queerfeindlicher Hass. Und Noise. Noise soll auch gecancelt werden.
Es braucht Prides, weil wir Queers noch immer bedroht werden. Ich sage das als Mensch, der in einem so kleinen Dorf aufgewachsen ist, dass die erste Antwort darauf immer est ist «wo?» und dann sage ich den nächstgrossen Ort. Ich bin also auf dem Land aufgewachsen, in der Ostschweiz. Bei uns im Dorf tuschelten wir Kinder über die masc Lesbe, an der Schule erklärte uns niemand, warum die eine Lehrperson mit männlichen Namen Frauenkleinder trug, und am Gymi wurde der «einzige schwule Mann» ausgelacht. Später in Zürich begegnete ich dann natürlich dem halbem Gymi, und alle fragen: Was machsch dänn du da?
Ja, was machen wir alle eigentlich hier? Ja, einerseits demonstrieren wir gegen die Ungerechtigkeit, dass es Queerfeindlichkeit gibt. Wir beweisen, dass wir noch immer existieren, trotz allem, was uns passiert ist. Aber, und das ist mir wichtig: Wir sind nicht hier, weil wir uns schämen. Sonst hiesse dieser Anlass Shame. Und so heisst er nicht. Er heisst Pride. Wir sind stolz, dass es uns gibt. Stolz, dass wir nicht einfach in einer Welt aus Entweder-Oder leben, sondern in einem riesigen Alles. Es gibt immer mehr als zwei! Mehr als zwei sexuelle Orientierungen, mehr als zwei Geschlechter und mehr als zwei Beziehungsformen. Wir sind ein riesiges Alles, wir sind unterschiedlich und halten trotzdem zusammen, und das ist ein Grund, stolz zu sein, es der schönste Grund für diese Pride.
Es gibt übrigens auch mehr als zwei Arten, eine Frau zu sein. Es gibt unendlich viele Arten, eine Frau zu sein. Genau genommen gibt es keinen falschen Weg, eine Frau zu sein. Es gibt keinen falschen Weg, irgendein Geschlecht zu haben oder eben nicht zu haben. Wie wir uns identifizieren und wie wir unser Geschlecht zum Ausdruck bringen, ist sehr sehr unterschiedlich. Das heisst auch, dass wir uns alle deutlich wehren müssen gegen Transfeindlichkeit vor allem wir cis Menschen. Pride heisst Solidarität, und wir sind solidarisch mit unseren trans Schwestern, trans Brüdern und trans Geschwistern!
Denn wir sind heute nicht hier, weil wir alle gleich sind. Sondern, weil wir alle verschieden sind und das auch gut so ist.
Liebe Mitmenschen, uns wird viel zu oft gesagt, dass es keine Pride mehr braucht. Es gibt eine mögliche Antwort, die wir in meinen Augen viel zu selten geben auf diese Aussage. Das nächste Mal, wenn dir ein Mensch sagt, dass es keine Pride mehr braucht, überlege dir, ob es möglich ist, dich umzudrehen und wegzulaufen. In die Arme von Menschen, die mit dir kämpfen für das, was wichtig ist. Und die dich lieben, wie du bist. Nicht, obwohl du so bist, sondern weil du so bist, wie du bist.
Maria Pappa
Liebe Mitmenschen
Wir sind heute alle zusammengekommen, weil wir eines wollen:
Wir wollen Gleichberechtigung und wir wollen die Vielfalt erfahren;
wir wollen von der Gesellschaft so wertgeschätzt werden, wie wir sind.
Wir fordern Toleranz und Wertschätzung im Alltag für alle.
Kann man da etwas dagegen haben?
Weshalb ist dies keine Selbstverständlichkeit?
Es gibt eine Eigenheit, die wir Menschen im Alltag alle automatisch machen:
Wir denken in Schubladen.
Wir ordnen alles ein, was wir sehen oder denken. Wir vergleichen fremde Personen und neue Situationen mit gemachten Erfahrungen und stecken diese Person oder diese Situation dann in eine Schublade.
Frau oder Mann? Freund oder Feind? Friedliche oder gefährliche Situation?
Wir kategorisieren nahezu ununterbrochen – meist läuft dies unbewusst ab. Wir tun dies auch mit unserer Sprache.
Dieses schnelle Erfassen und Kategorisieren einer Situation vereinfacht unseren Alltag. Das menschliche Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, jede Information einzeln zu verarbeiten. Es fällt uns schwer, nicht in Schubladen zu denken. Manchmal macht es im Gegenteil sogar Sinn, dass unser Hirn die Dinge blitzschnell kategorisiert. In Schubladen zu denken hilft dem Gehirn, eine sich ständig ändernde Welt schnell zu sortieren und so die Informationslast zu reduzieren. Es ist somit menschlich.
Aber genau das ist auch ein Problem. Was ist, wenn etwas nicht in eine Schublade passt? Was ist, wenn etwas nicht in die gesellschaftlich definierte Norm passt?
Viele Menschen reagieren mit Verwirrung, einige gar mit Stress und Angst, wenn etwas nicht in die bisherige Vorstellung passt. Die Unsicherheit über die Bedeutung der neuen Information kann emotional belastend sein.
Einige lehnen neue Ideen oder neue Situationen kategorisch ab, da man sonst die ganze Schubladenstruktur anpassen müsste. Dies wäre zu anstrengend. Wenn es gar als gefährlich eingestuft wird und der Druck einer Anpassung zu gross wird, reagieren einige auch mit Widerstand und sind bereit, für ihre eigene Welt zu kämpfen.
Andere Menschen sind wiederum anpassungswillig, können die eigene Weltordnung flexibel anpassen. Wenn die Argumente stimmig sind, sind sie bereit, ihre Ansichten zu überdenken.
Andere agieren mit Neugierde; sind offen, Neues zu entdecken und bereit, die eigene Weltordnung zu erweitern.
Wie ist das mit Dir?
Ich selbst kenne alle diese Reaktionen. Ich war auch schon verwirrt, habe ab und an wütend reagiert, wenn mich jemand mit einer ganz anderen Weltordnung konfrontierte. Ich war auch schon neugierig und habe auch meine eigene Meinung angepasst.
Wir sind mit Vorstellungen aufgewachsen, jede Gesellschaft hat ihre Normen. Wir sind ständig mit diesen Kategorien konfrontiert, verwenden diese in unserer Sprache.
Und dabei erahnen wir alle: Die Wirklichkeit ist vielfältiger und komplexer, als wir sie uns mit unseren Vorstellungen und Schubladen zurechtlegen. Die Realität ist nicht einfach nur schwarz und weiss.
Ich schaue mich heute um und sehe alle Farben des Spektrums. Das Symbol der Pride-Fahne hält uns vor Augen, wie ein realistischer, unverklärter Blick auf die Welt und die Menschen aussieht.
Ich bin mir bewusst, dass eine achtsame Sprache und eine offene Gesellschaft keine Selbstverständlichkeiten sind. Ich bin mir bewusst, dass viele Menschen mit Gleichgesinnten leben wollen, dass sie ihre Normen haben. Gleichzeitig weiss ich, dass es möglich ist, mit Unterschieden zu leben, dass es möglich ist, Stereotypen zu überwinden. Die Schweiz als Willensnation hat es gar schon bewiesen: es war der Wille – trotz Unterschiede in Herkunft, Sprache, Kultur und Glaube –, eine Nation zu bilden. Es war der bewusste Entscheid, die jeweiligen Unterschiede zu akzeptieren, zu tolerieren und zu wahren. Die Schweiz ist somit ein Beispiel, wie eine Nation trotz Unterschieden friedlich zusammenleben kann.
Und dennoch: Auch in der Schweiz gibt es noch einiges zu tun, damit wir wahre Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Toleranz und Wertschätzung erleben.
Es ist auch nicht so, dass – wenn mal etwas erreicht wurde – wir uns zurücklehnen können.
Nein! Das «Schubladendenken» gehört zur menschlichen Natur, und somit wird es immer wieder nötig sein, für diese Werte zu kämpfen.
Wir brauchen tagtäglich eines: den Willen, Schubladendenken zu überwinden und uns in Toleranz zu üben. Das bedeutet Arbeit und es wird oft unbequem werden. Aber ich wünsche uns und den nächsten Generationen, dass diese Arbeit getan wird!
Wie können wir das schaffen? Im Folgenden vier Ansätze, wie wir es gemeinsam erreichen können:
- Selbstreflexion: Denke über deine eigenen Vorurteile nach; wir alle haben solche. Wenn du sie erkennst und dich fragst, warum du bestimmte Vorurteile hast und woher sie kommen, kannst du daran arbeiten, sie zu überwinden.
- Empathie entwickeln: Informiere dich über die verschiedenen Hintergründe und Lebensumstände von Menschen, die anders sind als du. Sei neugierig, sei interessiert! Und versuche, dich in die Lage anderer Menschen zu versetzen und ihre Perspektiven zu verstehen. Wenn du dich in die Gefühlslage und die Erfahrungen anderer hineinversetzt, wirst du eher fähig sein, dich in Toleranz zu üben und Vorurteile abzubauen.
- Persönliche Begegnungen suchen: Geh’ raus aus der eigenen «bubble». Triff Menschen mit verschiedenen Hintergründen und aus anderen Kulturkreisen. Oftmals können persönliche Begegnungen dazu beitragen, Stereotypen zu hinterfragen und Verständnis aufzubauen.
- Konstruktiven Dialog führen (auch mit Menschen, die andere Meinungen und Lebensweisen haben): Ja, es braucht Mut und auch Kraft, sich andere Meinungen und Ansichten anzuhören und darüber zu diskutieren, wenn sie von den eigenen abweichen.
Versuche dennoch, andere Standpunkte zu verstehen und deine eigenen Standpunkte zu erklären, ohne zu urteilen oder zu verurteilen. Toleranz ist eine Tugend, die wir täglich neu lernen müssen. Toleranz bedeutet nicht, dass wir unsere Werte aufgeben müssen, sondern dass wir die Rechte und Freiheiten anderer achten und ihnen mit Wertschätzung begegnen.
«Ich sehe alle Farben des Spektrums». Nicht nur heute – an der «Pride», an der wir dieses Spektrum ganz bewusst sichtbar machen und feiern – soll diese Maxime gelten. Sie soll uns in unserem Alltag begleiten.
Es ist die Idee, die Freiheit jeder und jedes Einzelnen zu respektieren.
Es ist die Idee, diese Freiheit im Konsens zusammen zu leben.
Es ist die Idee, sich gegenseitig die gleichen Rechte zuzugestehen.
Wie?
Mit Selbstreflexion, Empathie, persönlichen Begegnungen und konstruktivem Dialog.
Lasst uns das unglaubliche Potenzial, das in der Vielfalt steckt, erkennen!
Lasst uns Vorurteile überwinden, Diskriminierung bekämpfen.
Treten wir ein für Gleichberechtigung!
Bekennen wir Farbe und lasst uns (im Sinne des Wortes Pride) Stolz sein!
Es liegt an uns, eine Kultur der Offenheit und des Respekts zu schaffen, in der jeder Mensch die gleichen Chancen hat, sein volles Potenzial zu entfalten.
Danke dem Organisations-Team, dass ihr diese Pride uns zur Erinnerung geschenkt habt.
Geben wir aufeinander acht!
Joel Müller
Wut & Solidarität
Geschätzte queere Familie, liebe Allys
Es bedeutet mir ehrlich gesagt sehr viel heute hier stehen zu dürfen. Noch vor einigen Jahren hätte ich es mir nicht erträumen können, eines Tages öffentlich als schwule Person aufzutreten. Als ich diese Rede geschrieben habe, habe ich mich wieder zurückerinnert an die Zeit vor meinem Comingout, in der ich mich noch versteckte habe, in der ich nicht ich selbst war.
Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich jahrelang jeden Abend dafür gebetet nicht schwul zu sein, es ist noch nicht so lange her, als ich mir noch ernsthaft überlegte katholischer Pfarrer zu werden, nur um keine Frau heiraten zu müssen und es ist noch nicht so lange her, da hatte ich einfach nur Angst meine Familie und meine Freunde zu verlieren, wenn ich mich outen würde.
Ich weiss, dass es vielen von euch, die heute hier sind, ganz ähnlich ergangen ist. Und ich weiss, dass ich als weisser, schwuler Cis-mann verglichen mit vielen anderen von unserer Community noch privilegiert bin.
Wir müssen uns bewusst sein, dass das alles direkt in Zusammenhang steht mit unserer Gesellschaft, unserer Gesetzgebung und unserer Politik: Ich will, dass sich das ändert. Dass die Babyqueers von morgen nicht mehr solche Ängste durchleben müssen wie viele von uns in unserer Jugend! Lasst uns wütend sein, lasst uns solidarisch sein!
Geschätzte queere Familie, liebe Allys ich habe es satt. Ich habe es sowas von satt das wir queere Menschen in unserer Gesellschaft bis heute an den Rand gedrängt werden, dass wir uns auf offener Strasse beleidigen lassen müssen, dass wir bedroht und geschlagen werden, dass wir diskriminiert, gehasst und belächelt werden. Nichts auf dieser Welt rechtfertigt das.
Nichts auf dieser Welt rechtfertigt, dass nicht alle Mitglieder unserer Community die gleichen Rechte und Privilegien haben wie heterosexuelle Cis-Männer. Es ist an der Zeit, das zu verändern. Es ist an der Zeit, uns nicht mehr alles gefallen zu lassen! Lasst uns ruhig auch einmal ungeduldig werden, denn es dauert schon viel zu lange! Lasst uns gemeinsam wütend sein, lasst uns uns gemeinsam dagegen wehren – holen wir uns die Rechte und den Raum in der Gesellschaft, der uns zusteht, denn auch für uns müssen die Menschenrechte ohne wenn und aber gelten!
Stonewall
Vor 54 Jahren legten mutige Queers, unter anderem die beiden Frauen Sylvia Rivera und Marsha Johnson, den Grundstein für die Fortschritte, von denen wir heute profitieren. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Solange die Antidiskriminierungsstrafnorm nicht auf Menschen, die trans- oder inter sind ausgeweitet wird, solange unser Rechtssystem die Absurdität beibehaltet, dass nur Frauen und Männer existieren würden, solange queere Frauen nicht vollständig gleichgestellt sind und solange wir uns nachts händchenhaltend auch hier in St. Gallen nicht wirklich sicher fühlen können, so lange sind wir nicht am Ziel!
Was Rivera und Johnson als Vorkämpfer*innen von Stonewall waren, sind heute die Menschen, die nicht einfach ihre Partner*innen loslassen können, wenn sie beispielsweise im Bus aus sicherheitsgründen nicht mehr als queer erkannt werden wollen. Die Held*innen unserer Community sind queere Menschen, die stärker von den cis-heteronormativen Normen der Gesellschaft abweichen, diejenigen Menschen die trans- oder intergeschlechtlich sind und die Menschen die mehrfachdiskriminiert werden.
Ihr seid die vordersten Kämpfer*innen für unsere Rechte und für unsere Sichtbarkeit. Dafür habt ihr unsere volle Solidarität und Unterstützung verdient!
Liebe queere Familie, liebe Allys es ist unsere Verantwortung gemeinsam friedlich, aber laut, sichtbar, vehement und mit Zivilcourage dafür zu kämpfen, dass alle Menschen unserer Community die gleichen Privilegien erhalten.
Lasst uns genauso wütend sein, wie die Menschen damals wütend waren in Stonewall und lasst uns niemals vergessen, dass wir genau gleich viel wert sind wie die Menschen der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft. Lasst uns niemals denen glauben, die uns nicht anerkennen. Lasst uns solidarisch gegen die rückwärtsgewandten Kräfte kämpfen, die uns Sprachvorschriften machen wollen, die Bücher verbieten wollen, die queere Aufklärung und Präventionsarbeit einschränken wollen und die uns absichtlich Steine in den Weg legen. Lasst uns niemals uns selbst unterschätzen. Denn gemeinsam sind wir unglaublich viele, ohne uns Queers würde die Welt stillstehen.
Wir lassen uns nicht kleinkriegen. Wir sind mutig und solidarisch!
Liebe queere Familie, liebe Allys, die heute hier sind. Danke dass es euch gibt, ihr macht die Welt ein kleines bisschen besser, ihr macht den Babyqueers von morgen das Leben leichter.
Hass und Hetze darf niemals gewinnen! Die Liebe muss gewinnen! Danke
Kween G
Triggerwarning: Sexualisierte Gewalt & Diskriminierung
Hallo, Mein Name ist G, am liebsten kein Pronomen, wenn nötig: they/er.
Ich bin 29, non-binär und Gründer von G’s Universe & House of G.
Warum braucht es dringend Queerfeminismus in St. Gallen?
Nun, davor käme die Begründung, warum es Feminismus an sich noch braucht, aber da dieser Fakt schon unzählige Male unzweifelhaft festgestellt wurde, konzentriere ich mich hier auf die Intersektion der queeren und der von Sexismus betroffenen Perspektive sowie deren Überlappungen.
Personen, die von sexistischer Diskriminierung und Gewalt betroffen und zusätzlich marginalisiert sind, haben oft keine Anlaufstellen und Strukturen, um auf Gewalt und systematische Ausbeutung aufmerksam zu machen oder Hilfe zu suchen. Es ist bezeichnend, zu sehen, dass trotz oder eben wegen der Me-Too- Bewegung, prominente weisse cis-Frauen die einzigen zu sein scheinen, die mit ihren Erfahrungen gehört und gesehen werden.
Gemessen an den Hürden, die Überlebende überspringen müssen, ist es nicht weiter verwunderlich, dass oft die einzigen, die über ihre Erfahrungen sprechen können, finanziell privilegierte Menschen sind, die oft bereits eine Plattform. Nebenbemerkung: Ich sage bewusst gehört und nicht geglaubt. Leute wie ich schaffen es nur in Ausnahmefällen aufs Podest und vors Mikrophon. Es ist Teil des Problems, dass die Menschen, die am härtesten von dieser Diskriminierung betroffen sind, normalerweise nicht in die richtige Position kommen oder nicht den richtigen Titel haben, um sich Gehör zu verschaffen.
Ich bin in einer patriarchalen Rape Culture ohne Respekt oder Anerkennung für die Erfahrungen von Überlebenden aufgewachsen. Als junger von Armut und Sexismus betroffener Mensch ohne ein Support System war ich einem System ausgeliefert, das ich nicht verstand.
Durch die fehlende Unterstützung und die fehlenden Strukturen, habe ich dazumals als Opfer von Missbrauch und massiver sexueller Gewalt keine Anlaufstelle gefunden, die mir Hilfe oder Beratung angeboten hätte. Ich musste mir als Überlebender von Menschenhandel selber helfen und mein eigenes Leben neu aufbauen.
Da meine Geschichte nur ein Beispiel unter unzählig vielen ist – und es mehr Personen gibt, die Sexismus erlebt haben, als solche, die es nicht haben – bin ich sehr froh, dass in den letzten Jahren – wenn auch für mich eine Dekade zu spät – das Thema sexistische und sexualisierte Gewalt aufgefasst wurde und als Problem verstanden wird.
Die Ignoranz und Verleumdung, die Überlebenden von sexueller Gewalt und sexistischer Diskriminierung entgegenschlägt, ist nicht nur ein Armutszeugnis, sondern die absolute moralische Bankrotterklärung «unserer» Gesellschaft.
Warum ist QUEER Feminismus so wichtig?
Nicht nur wurde ich bei meiner Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeteilt und habe deswegen viel Gewalt und Diskriminierung erlebt, ich bin zudem auch noch trans, non-binär und habe eine Behinderung.
Durch meine Erfahrung weiss ich, dass sehr viel Ungleichheit herrscht in der Diskriminierung queerer Menschen, die von Sexismus betroffen sind.
Ich weiss nicht, ob es schon mal jemensch aufgefallen ist, aber nicht nur cis Frauen werden Opfer dieser Straftaten und von Sexismus allgemein, sondern auch alle anderen Menschen, wirklich alle, aus jeder demografischen Gruppe, teils auf gleiche, teils auf sehr verschiedene Weise.
Queere Menschen sind immer auch grundsätzlich Sexismus ausgesetzt, allein schon weil beispielsweise die Homofeindlichkeit als Misogynie gegen schwule Männer verstanden werden kann. Selbst Transphobie und Biphobie haben ihren Ursprung in der Misogynie und sind nichts weiter als Auswüchse dieses Faschistischen Gedankenkonstrukts. Wie sehr Frauen liebende Frauen und lesbische Personen von sexistischen Stereotypen betroffen sind, sollte wohl vielen klar sein. Ihr Dasein wird entweder nicht ernst genommen, da entweder weibliche Sexualität «gar nicht existiert» oder mann fetischisiert sie und macht sie so zu Objekten. Beide dieser Diskriminierungsformen sind sexistisch. Wenn mensch weiter geht in diesem Gedankengang, gehen alle Formen der Queerfeindlichkeit auf Misogynie zurück, sowie auch der klassische Sexismus gegen cis Frauen.
Queere Menschen, die zudem von sexistisch geprägten Stereotypen diskriminiert werden, haben für die Intersektion der Gewalt, die sie erleben, oft keine passende Anlaufstelle und keinen Verein.
Da Angebote für Überlebende sexueller und häuslicher Gewalt in der Vergangenheit oft nur auf cis Frauen zugeschnitten wurden, wurden alle anderen inklusive der Männer davon ausgeschlossen.
Erst jetzt ist der Feminismus soweit, dass er klar alle Formen von Sexismus und sexistischer Diskriminierung gegen restlos alle Geschlechter und alle Orientierungen/Sexualitäten miteinschliesst. Sowie es der Feminismus auch erst in den letzten Jahren geschafft hat, Frauen verschiedener Hautfarbe, Religion und Herkunft miteinzuschliessen. Diese Veränderungen sind wichtig für den Feminismus, da die globale Mehrheit darin endlich Gehör findet und die Möglichkeit eröffnet, sich über die vielschichtigen und unterschiedlichen, systematischen Unterdrückungsformen auszutauschen. Es entsteht Raum für mehr Meinungen, mehr Stimmen und mehr Lösungen.
Es braucht Queerfeminismus, weil wir uns viel zu oft entweder auf Sexismus oder Queerfeindlichkeit konzentrieren, aber sehr selten auf die Personen, die von beidem betroffen sind. Beide Diskriminierungsformen sind für sich alleine schlimm und unhaltbar, jedoch kann es noch schwerer sein, wenn beide zusammentreffen und eine verstärkende Wechselwirkung haben. Diese Formen der Diskriminierung wirken sogenannt intersektional, und darauf fokussieren wir uns in meinem Verein G’s Universe.
Sexistische Stereotypen, die so reduktiv sind, dass sie alle Menschen klein halten, haben meiner Meinung nach in jedem einzelnen Leben ihre Spuren hinterlassen. Die, die wegsehen oder glauben, dass sie nicht betroffen sind oder mehrheitlich von diesem System profitieren, tun dies im Glauben, dass sie nicht die Hand beissen wollen, die sie füttert. Das Patriarchat hält die Unterdrückenden wie Hunde an der Leine und belohnt sie für ihren Verdienst mit den Körpern und der Macht über, von Diskriminierung betroffenen Menschen.
Da es für sich selbst spricht, dass wir erst im Jahr 2023 unsere erste Pride feiern, ist wohl auch klar, warum wir dringend Queerfeminismus in St. Gallen brauchen.
Was wir alle tun können, ist informieren, empowern, heilen, lernen und verlernen.
Schöpfen wir Kraft aus der Gemeinschaft und schaffen wir Sicherheit in der Masse.
Dankeschön
Sylvie Keller
Rede
Sylvie Keller und Fabian Marcionetti
Part Sylvie
Als es Zeit war unsere Reden zu schreiben, trafen sich Fabian und ich.
Wie es sich unter besten Freunden gehört, tauschten wir uns zuerst noch über allmögliche Dinge aus.
Irgendwann sind wir abgeschweift und fingen über queere Themen zu sprechen an.
Wir haben darüber geredet, was gerecht und was ungerecht ist. Was in der Gesellschaft zu Diskussionsthemen führt, und dass dies meist durch Unwissen und Gleichgültigkeit entsteht.
Wir haben uns genervt, wir waren ein wenig “hässig” weil noch so viel Arbeit vor uns liegt.
Aber es erinnerte mich auch an mich selbst vor knapp 5 Jahren.
Als ich auch “hässig” war und verzweifelt, alleine mit vielen offenen Fragen.
Denn damals war ich zwar geoutet, aber ich hatte keine Community, weil sich diese in den grossen Städten wie Bern, Zürich oder Basel abspielte.
Lange habe ich nach etwas gesucht, dass sich für mich wie zuhause anfühlen sollte. Jedoch war meine Suche vergebens.
Also schöpfte ich aus diesen Emotionen Kraft und Energie und gründete mit 2 Freundinnen den Verein Otherside.
Mein Ziel war es einen Treff zu machen der alle willkommen heisst, die auf der anderen Seite sind, so wie es der Name “Otherside” übersetzt auch bedeutet.
Aber was meinte ich mit “auf der anderen Seite”?
Ich meinte alle die sich ausserhalb der Hetero-Cis-Norm befanden.
Alle Menschen die sich in ihrer Art zu lieben oder ihrem Geschlecht gefunden haben, aber nicht den richtigen Platz in der Gesellschaft.
Meine Intention war es Menschen zusammen zu bringen, um sich zu unterstützen, sich auszutauschen, zusammen zu lachen und weinen.
Nicht sehr unerwartet wurde es zu mehr, über die Jahre haben wir nicht nur eine Community aufgebaut, sondern auch Menschen durch unsere Sichtbarkeit und unsere Arbeit weitergebracht.
Eine Community besteht ja nicht nur aus einer Gemeinschaft, sondern aus vielen einzelnen Gesichtern, Charakteren und Geschichten.
Das sind Menschen. Menschen, die ihr ganz eigenes Leben führen. Menschen, die fühlen, schreien, tanzen und leben.
Wenn ich homofeindlichen Personen zuhöre, fühlt es sich manchmal so an, als würden sie über “ein Ding” sprechen.
“Diese Queers” als wäre es eine Sache. Aber diese “Queers” könnte das ungeoutete Kind dieser homofeindlichen Person sein oder der Postbote, der jeden Tag die Post vorbeibringt.
Denn wir sind hier, wir sind kein “Märli”. Wir sind Menschen aus Fleisch und Blut. Unsere Welt ist wunderschön, nicht nur weil sie kunterbunt und divers ist, sondern weil Mensch Mensch so nimmt wie Mensch ist, weil wir uns nicht verurteilen, sondern uns gegenseitig inspirieren und unterstützen.
Und das, was wir machen und leben ist keine Entscheidung, sondern es ist das schönste Geschenk, das wir kriegen können.
Ich wünsche mir durch unsere Sichtbarkeit an der Pride St.Gallen das man auch den Pöstler oder das Kind anerkennt.
Denn wir sind keine Sache worüber diskutieren werden sollte, sondern eine Community, die stark und laut ist.
So hat jeder Mensch seine Bestimmung, meine kenne ich mit meinen 25 Jahren ganz genau:
Ich möchte unterstützen, zuhören, aufklären und Unklarheiten beseitigen. Ich möchte für die Menschen einstehen, welche es verdient, haben respektiert und geliebt zu werden, für was sie sind; nämlich sich selbst.
Ich will für alle laut und wütend sein, die aus Angst stumm gestellt wurden. Die, welche aus Schmerz und Leid klein gehalten werden.
Ich wünsche mir so sehr, dass alle, die noch kommen und die, welche noch sind keine Angst mehr haben müssen. Ich wünsche mir es so so sehr von ganzem Herzen, dass wir so frei lieben und leben dürfen wie alle Menschen.
Nun wurde viel über die Queere Community gesagt. Es wird Zeit, dass wir Fabian das Wort übergeben, welcher über Themen spricht über die zu wenig geredet wird.
Part Fabian
Vielen Dank für deine inspirierende Rede, ich werde somit fortfahren.
Liebe Freunde die sich jenseits des Cis-Seins befinden.
Ich bin kein Influencer, aber als “Aktivist” müssen wir gemeinsam über gewisse Dinge reden.
Heute möchte ich mit euch über Dinge reden, über die zu wenig geredet wird. Sowohl in der Community als auch ausserhalb. In den ganzen Jahren in welchen ich mich bereits mit Trans*rechten auseinandersetze, andere Trans*persönlichkeiten kennenlernen, und am eigenen Leib die Hürden und Strapazen des Trans*seins erleben durfte, fielen mir immer wieder Themen auf, denen meines Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Oder wann habt ihr das letzte Mal mit euren Trans*buddies über Genderstereotypen geredet? Wie oft wurdet ihr bereits von Ärzten auf euer Transsein reduziert und wie lief das bei euch mit dem Militär ab? Diese Rede dient nicht der Kritik an unserem gesellschaftlichen System. Von solchen Reden gibt es genug da draussen.
In der Gesellschaft wird oft über Trans*menschen geredet, aber selten mit ihnen. Oder wer von euch wurde bei der letzten Studie zum Anteil von Trans*personen in der Schweiz gefragt? Also, ich nicht.
Ich rede nun zu euch, mit der Botschaft mehr zu reden. Ihr dürft auch Mal lauter sein, aber ihr müsst nicht immer brüllen. Hauptsache ist, ihr redet. Lasst euch nicht mundtot machen, auch wenn vor euch gerade euer Hausarzt steht, der Militäroberarzt oder eure Lehrperson, welche euch heute schon zum dritten Mal misgendert. Ihr dürft auch eure Dozenten korrigieren, indem ihr sagt, dass das Wort «Geschlechtsumwandlung» schon seit einigen Jahren nicht mehr Up-To-Date ist. Redet, und nun rede ich mit euch über ein Thema, was mir besonders am Herzen liegt:
Und zwar Genderstereotypen.
Genderstereotypen existieren, die kann man sich nicht wegdenken. Die Gesellschaft hat diese aufgebaut, um sich orientieren zu können. Auch im Jahr 2023 noch.
Ich weiss, das Ziel der meisten binären Trans*persönlichkeiten ist das berechtigt kontroverse Passing. Für manche ist dies aber eine Erlösung, man bekommt keine dummen Fragen, man wird nicht mehr misgendert, man wird nicht mehr angegafft.
Wenn man sich einen stereotypischen Mann vorstellt, denkt man vielleicht an Fussball, Bier und Holzfällerhemden. Jedoch ist jeder Mann anders, denkt anders und fühlt anders. Wenn ich Fussball das langweiligste überhaupt finde, vielleicht einmal im Jahr ein Bier trinke und rote Karomuster nicht meinem Dresscode entsprechen, macht mich das dann weniger zu einem Mann?
Überraschung: Nein.
Dasselbe gilt auch für Frauen. Jede Frau ist anders, denkt anders und fühlt anders. Wenn man nicht auf pink, Make-Up oder High-Heels steht, macht das einen weniger zu einer Frau? Natürlich nicht.
Und nun zu euch, Freunde jenseits des Cis-Seins:
Zwingt euch nicht in eine Rolle, in die ihr nicht gehört. Und an alle Enbys da draussen, für euch gibt es kein Genderkonstrukt, also lasst euch nicht in eins zwängen.
Mir hat es gereicht. Ich wollte einfach ich sein. Und was habe ich getan?
Ich habe drauf geschissen, was die andern denken, was ein Mann sein soll.
Und wie, fragt ihr euch vielleicht. (Vielleicht auch nicht, zuhören tut ihr trotzdem 😉)
Jeder definiert ‘Männlichsein’ oder ‘Weiblichsein’ anders. Wenn ihr 100 Personen diese Frage stellen würdet, würdet ihr 100 verschiedene Antworten bekommen.
Und genau das habe ich getan; Männlichsein selbst definiert.
Jeder* ist männlich, der sich als männlich identifiziert. Jede* ist weiblich, die sich als weiblich identifiziert. Und für alle die sich zwischendrin oder darüber hinaus befinden, go for it!
Und wenn einige von euch diese Klischees verkörpern und ihr fühlt euch damit wohl und seid glücklich damit, dann macht das. Lasst euch nicht etwas anderes einreden. Verstellt euch bitte nicht für das hartnäckige Gesellschaftskonstrukt der Geschlechter. Seid einfach ihr selbst, ihr werdet so und nur so Zufriedenheit erleben.
Wenn ihr überzeugt von euch selbst seid und zu EUCH als PERSÖNLICHKEIT steht, dann seid ihr viel überzeugender, als wenn ihr euch versucht in eine Rolle zu zwängen.
Zeigt euch und zeigt der Gesellschaft, auch in diesem Jahr:
Persönlichkeit kennt kein Geschlecht.
Shivus Shanahan
Ich bin seit Kindesbeinen an zwei Dinge: zum einen trans, zum anderen ein Bünzli.
Wie die meisten Schweizer:innen fühle ich mich wohl innerhalb von Regeln und Gesetzen – wie sehr wir auch darüber schimpfen – sie sind den einen zu streng, den anderen zu lasch – sie gehören irgendwie zu uns.
Was als reiches Land auch zu uns gehört, ist ein ausgeprägter Individualismus: alle sollen machen, was und wie sie wollen, man redet einander nicht rein – das gilt vor allem in der Wirtschaft.
Ironischerweise und zu meinem Bedauern verhält es sich beim Thema Familie ganz anders.
Die Familie ist scheinbar immer noch eine Art öffentliches Gut, zu deren Konstellation und Erziehungsform jede Person eine Meinung haben und äussern soll und die darum pausenlos Kritik ausgesetzt ist. Auch “traditionelle” Familien, die aus einer Frau, einem Mann und Kindern bestehen, leiden unter dieser permanenten Bewertung, obwohl primär sie in unseren Gesetzen als äusserst schützenswert gelten.
LGBTIQ-Eltern hingegen bilden mit ihren Kindern höchstens familienähnliche Formen und werden maximal geduldet, so kommt es einem vor. Sie werden besonders intensiv beobachtet in ihrem Umgang mit ihren Kindern, denn das Kindeswohl kann ja gar nicht gewährleistet sein in so einer Konstellation.
Zwei Männer, zwei Frauen, Transmenschen – das können ja gar keine guten Eltern sein.
Nicht nur, weil wir LGBTIQ-Menschen alles Perverse sind, sondern mangels sogenannter “Leiblichkeit”.
Dabei gilt es unbedingt zu verstehen: um überhaupt Eltern zu werden, müssen wir bereits unglaubliche Strapazen auf uns nehmen und viel Zeit, Geduld und Geld investieren.
Kaum jemand entscheidet sich also bewusster für diese Mammutaufgabe Elternschaft, für die lebenslangen Sorgen und die emotionale Achterbahnfahrt als ebendiese Menschen, die dann trotz allem von der Gesellschaft zu hören kriegen, sie seien “ja nicht die richtigen Eltern” ihrer Kinder.
Was bedeutet denn richtige Elternschaft?
Ich bin selbst kein Elternteil, habe aber das Glück als Kind bedingungslose Liebe, eine gute Erziehung und Schutz genossen zu haben und mir wurden Ehrlichkeit und Respekt vermittelt.
Primäre erwachsene Bezugspersonen, die all dies einem Kind fürs Leben mitgeben, das sind die richtigen Eltern – egal welche sexueller Orientierung, welche Geschlechtsidentität und vor allem völlig ungeachtet von sogenannter “Leiblichkeit”, die in jüngster Zeit wieder mehr zum Nonplusultra hochstilisiert wird.
Unter dem Deckmantel des Kindeswohls, das übrigens alle mit individueller Bedeutung füllen dürfen, da er rechtlich nie definiert wurde, werden zahlreiche Familien ohne diese leibliche Verbindung zwischen Eltern und Kindern kurzerhand zu Familien zweiter Klasse degradiert – das sind nicht nur Regenbogenfamilien, sondern auch Familien von cis-geschlechtlichen heterosexuellen Eltern, die Adoption oder gewissen Formen der Fortpflanzungsmedizin in Anspruch nehmen.
Trotz aller Liebe, Fürsorge und Erziehung werden sie in eine belächelte Nebenrolle gedrängt und als “soziale Eltern” bezeichnet, um Platz zu schaffen für die scheinbar naturgegebene Verbindung zwischen ihren Kindern und einer völlig fremden Person – das ist kein Zeichen einer offenen Gesellschaft, sondern Anlass zu grosser Sorge.
Um auf die Gesetzgebung zurückzukommen: das Recht darauf, zahlreiche von Familien abzuwerten, in denen zwischen Eltern und Kind nicht das gewünschte Mass an genetischer Verwandtschaft besteht, leitet der Staat aus einer verfälschten Interpretation von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ab: dieser sieht ein Recht auf Achtung des Privat-und Familienlebens vor und der Staat konstruiert daraus paradoxerweise genau das Gegenteil: das sogenannte Schweizer Abstammungsrecht degradiert Eltern und ermutigt die Kinder sehr perfide im Sinne einer vermeintlichen “Identitätsfindung” ihre richtigen Eltern, denen sie lieber Dankbarkeit und Loyalität entgegenbringen würden, zu verraten und fremde Personen rein basierend auf dem Dogma der Genetik zu Eltern zu erklären.
Darauf bauen auch Boshaftigkeiten wie sogenannte Vaterschaftstests auf, welche die Vaterrolle ausschliesslich auf den Faktor des Genmaterials reduzieren und für einen Vater – so hingebungsvoll und liebend er auch sein mag – durchaus das Risiko besteht, seine verdiente Rolle von einem Tag auf den anderen an eine fremde, völlig unbeteiligte Person verlieren kann. Angesichts des Verbots anonymer Zellenspenden ein gesetzliches Damoklesschwert.
Und das alles im Namen eines Staates, der nicht oft genug betonen kann, “die Familie schützen” zu wollen? Ich hoffe, die Ironie wird deutlich.
Der einzig wirklich valide Vaterschaftstest würde danach fragen, welcher Mann dem Kind als zuverlässiges, stabiles Vorbild dient, ihm Verantwortung, Respekt gegenüber Mensch und Tier beibringt und es bedingungslos liebt.
Eine Blutprobe mag auf Drogenkonsum oder Krankheiten hinweisen, aber sie vermag selbstverständlich niemals die Frage nach Elternschaft zu klären.
Da wäre es logischer, die bei der Geburt anwesende Hebamme als Elternteil anzuerkennen, da diese tatsächlich einen Beitrag zum Leben des Kindes geleistet hat und jetzt würde mich interessieren, wie viele von euch eure Hebamme heute noch kennen und wie wichtig das für eure “Identitätsfindung” war.
Diese Entwicklung in Richtung Biologismus bereitet mir Sorge, zumal die staatliche Ermutigung, die eigenen Eltern für Fremde zu verraten und die Aufteilung von Menschen anhand genetischer Details in wertvoll und wertlos an dunkle Kapitel jüngerer europäischer Geschichte erinnert, während jenem LGBTIQ-Menschen bereits einmal als wertlos und als nicht lebenswert eingestuft wurden.
Ausserdem ignorieren die Befürworter:innen des Genetikdogmas gekonnt die nachweisbare Tatsache, dass alle Angehörigen der Spezies Mensch 99.9 % ihres Erbguts gemeinsam haben.
Das biologistische Abstammungsgesetz argumentiert mit Kindesschutz, schützt aber nicht, sondern zerstört zahllose Familien und ist ein klarer Angriff auf LGBTIQ-Menschen als auch auf cis-Menschen, die Fortpflanzungsmedizin in Anspruch nehmen oder auf dem ökologisch nachhaltigsten aller Wege – der Adoption – Eltern wurden.
Wie gesagt sieht die Menschenrechtskonvention die Achtung des Familienlebens vor und ich als Bünzli wünsche mir eine korrekte familiengerechte Auslegung davon.
Mein grosser Wunsch für LGBTIQ-Community und generell für die gesamte Bevölkerung ist daher eine radikale Abkehr vom Genetikdogma und die Achtung und Anerkennung von Eltern aufgrund ihres Verhaltens, ihrer Präsenz und ihrer Fürsorge und nicht aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder dem Luftschloss Leiblichkeit.
House of B Poderosa
(Deutsch weiter unten)
A Promise to Queer Rest
Pride has mostly become a celebration of queer lives, but the last few years have also made it impossible for us to forget it is a riot! We are incredibly more present in public life, probably more than ever before in our recent history. The recent rise of Vogue and Ballroom in the media, same-sex marriages becoming possible in more countries every year, queer politicians in parliaments such as the parliaments in the US and Brazil, and even a drag queen candidate for the Finnish parliament. However, our visibility does not equal our safety. Many times, it actually lessens our safety. In the current times, this new wave of visibility and access, to some of us, may I remind you, has also given birth to a new current of hatred and violence.
Police raiding queer centres in Ghana in 2021, US and UK with incredibly raising numbers of anti-Trans laws in the last years, Brazil’s first black Trans woman in parliament being threatened to death on her first day in office. Which is not surprising based on Brazil’s status as the number one killer of Trans people in the world for over a decade. Fun fact, also number one in consumption of Trans porn. Once again, visibility, and even interest and curiosity about us, does not equal safety.
2023 has also brought us the Anti-Homosexuality Act signed into law by Uganda’s President. This has increased fleeing rates of queer people to Kenya, one of the only countries in East Africa that does not condemn homosexuality by law. I said, by law, because culturally LGBTQI+ people are still not fully accepted as we do not have full respect and care all over the globe. Queer refugees from Uganda, and other countries, go through various types of horrible violence within the camps they are sent to. From conversion “therapies”, to “corrective” rape and even death.
This may sound far, as I have mentioned mostly countries in other continents but Switzerland has its own anti-Queer violence. Artist and activist Brandy Butler has to work triple now to ensure the safety of their Drag Story Time event in Zürich due to threats and right-wing manifestations at the event’s location. Manifestations permitted by the government in place. Geneva has now banned gender-affirming care for Trans minors, and this could easily be setting the tone for smaller and more conservative cantons to do the same.
Again, our visibility does not equal our safety. And that goes on any level, take for example our Ballroom sibling O’Shae Sibley. Stabbed to death for voguing to Beyoncé. Whom of us has not gone down and out to a Beyoncé track? Whom of us have not felt the joy of liberating ourselves through movement? And should we now keep this joy locked in our bedrooms, in our houses, in our hearts?
We shall not! We shall leave survival mode behind. We shall live!
I know this is easier said than done, I know we do not control other’s actions and we remain at risk, but if we give up now, Marsha’s, Sylvia’s, O’Shae’s and so many other queer lives would have gone in vain. We shall open our eyes to all the great steps we have also taken as a community. Look around and see your queer peers. We are here, and we shall not hide.
I’m not oblivious to the fact that it does get tiring, and it does become very difficult at times to keep fighting and keep pushing just so you can be alive as yourself, but for that I shall share a bit of Brazilian ancestral knowledge:
Quando estiver cansade, não desista, descanse.
It translates to “when you are tired, do not give up, rest.” And it means exactly what it says. We shall rest when we feel tired, overwhelmed or at our limits. Better yet if we can learn to recognize it coming before we get there. Still, regardless of when you realize it, please do not give up when tired, rest. Do not give when you are overwhelmed, instead take a break. Our lives are too precious and we have too much beauty to live for.
Besides, that’s exactly how they win, by making us hate our own existence and take our lives away, and we shall not let it be this way. I myself have trouble many times being at peace with how the world is because the times we live in can be highly damaging to our psyches. And I have myself been staring at the abyss not too long ago.
This last time I questioned if there was still any will to live inside of me and I wanted to just give it all up, I wished I had succeeded at taking my life away when I first had severe depression. That was 10 years ago and I was still a teenager. And the thought of missing the last ten years of my life was so absurd to me that I could not believe this thought actually came to me. So much so that I was able to critically see myself from the outside and realize how much I needed help. I texted my chosen and biological family, I texted friends and my therapist and I called my partner. I reached out. And in return I received nothing but love.
I know not all of us have a huge network of care and affection but Pride is just the place to build new connections based on love. We shall hold space for each other’s rest. We shall look at our community with grace and care, remembering that there should be no hierarchies but given the state of affairs, there are urgencies. As queer allies need to support us as a community, we shall also support our queer siblings going through multiple oppressive systems or who have been directly targeted such as the Trans and BIPOC people in our community.
I beg you to get involved and learn more about the queer political issues in your area. Support local queer institutions, queer workers and queer businesses. Participate, as much as your rest allows, in actively fighting for a better livelihood for all of us.
When all of the people I reached out to, returned me with love, I found the strength to make a promise to them and I want you all to make the same promise to me as well. I promised that I would win, I would survive and I would thrive, learning to give myself as much rest as needed to be able to live and live well. So do you promise me you will win, survive and thrive? While taking breaks and resting enough? Pinky promise? Then we shall hold this moment forever and keep this promise locked in our hearts.
Thank you!
Ein Versprechen an Queer Rest
Die Pride ist vor allem eine Feier des queeren Lebens geworden, aber in den letzten Jahren haben wir auch nicht vergessen, dass es ein Aufstand ist! Wir sind im öffentlichen Leben unglaublich präsent, wahrscheinlich mehr als je zuvor in unserer jüngeren Geschichte. Der jüngste Aufstieg von Vogue und Ballroom in den Medien, gleichgeschlechtliche Ehen, die jedes Jahr in mehr Ländern möglich werden, queere Politiker in Parlamenten wie dem in den USA und Brasilien und sogar eine Dragqueen-Kandidatin für das finnische Parlament. Unsere Sichtbarkeit ist jedoch nicht gleichbedeutend mit unserer Sicherheit. Oftmals verringert sie sogar unsere Sicherheit. In der heutigen Zeit hat diese neue Welle der Sichtbarkeit und des Zugangs für einige von uns, wenn ich euch daran erinnern darf, auch eine neue Strömung des Hasses und der Gewalt hervorgebracht.
In Ghana hat die Polizei 2021 Razzien in queeren Zentren durchgeführt, in den USA und Großbritannien wurden in den letzten Jahren immer mehr Anti-Trans-Gesetze erlassen, und Brasiliens erste schwarze Trans-Frau im Parlament hat an ihrem ersten Tag im Amt Todesdrohungen erhalten. Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass Brasilien seit über einem Jahrzehnt die Nummer eins bei der Ermordung von Trans-Menschen in der Welt ist. Spassfakt ist, dass Brasilien auch die Nummer eins beim Konsum von Trans-Pornos ist. Noch einmal: Sichtbarkeit und sogar Interesse oder Neugier an uns sind nicht gleichbedeutend mit Sicherheit.
Das Jahr 2023 hat uns auch das vom ugandischen Präsidenten unterzeichnete Anti-Homosexualitätsgesetz gebracht. Dies hat die Fluchtrate von queeren Menschen nach Kenia erhöht, einem der einzigen Länder in Ostafrika, das Homosexualität nicht per Gesetz verurteilt. Ich sage «per Gesetz» weil LGBTQI+ Menschen kulturell immer noch nicht vollständig akzeptiert werden, da wir nicht überall auf der Welt volle Achtung und Fürsorge erfahren. Queere Flüchtlinge aus Uganda und anderen Ländern erleben in den Lagern, in die sie geschickt werden, verschiedene Arten von schrecklicher Gewalt. Von Konversions-“Therapien” über “korrigierende” Vergewaltigungen bis hin zum Tod.
Das mag weit hergeholt klingen, da ich hauptsächlich Länder in anderen Kontinenten erwähnt habe, aber die Schweiz hat ihre eigene anti-Queer Gewalt. Die Künstlerin und Aktivistin Brandy Butler muss jetzt dreifach arbeiten, um die Sicherheit ihrer Drag Story Time-Veranstaltung in Zürich zu gewährleisten, da es am Veranstaltungsort Drohungen und rechtsgerichtete Manifestationen gibt – von der Regierung genehmigte Manifestationen vor Ort. Genf hat nun die geschlechtsangleichende Betreuung von Trans-Minderjährigen verboten, und dies könnte leicht den Ton für kleinere und konservativere Kantone angeben, das Gleiche zu tun.
Noch einmal: Unsere Sichtbarkeit ist nicht gleichbedeutend mit unserer Sicherheit. Und das gilt auf jeder Ebene, wie zum Beispiel bei unserer Ballroom-Geschwisterin O’Shae Sibley. Sie wurde erstochen, weil sie zu Beyoncé gevoguet hat. Wer von uns ist nicht schon einmal zu einem Beyoncé-Song abgegangen? Wer von uns hat nicht die Freude gespürt, sich durch Bewegung zu befreien? Und sollten wir diese Freude jetzt in unseren Schlafzimmern, in unseren Häusern, in unseren Herzen einschliessen?
Das werden wir nicht! Wir werden den Überlebensmodus hinter uns lassen. Wir werden leben!
Ich weiss, das ist leichter gesagt als getan. Ich weiss, dass wir die Handlungen anderer nicht kontrollieren können, und dass wir weiterhin gefährdet sind, aber wenn wir jetzt aufgeben, wären Marshas, Sylvias, O’Shaes und so viele andere queere Leben umsonst gewesen. Wir sollten unsere Augen für all die grossen Schritte öffnen, die wir als Gemeinschaft unternommen haben. Schaut euch um und seht eure queeren Mitmenschen. Wir sind hier, und wir werden uns nicht verstecken.
Ich verkenne nicht, dass es ermüdend ist, und dass es manchmal sehr schwierig ist, weiterzukämpfen und zu drängen, nur damit man als man selbst leben kann, aber dafür möchte ich ein wenig brasilianisches Wissen teilen, das von den Vorfahren stammt:
Quando estiver cansade, não desista, descanse.
Übersetzt heisst das: “Wenn du müde bist, gib nicht auf, ruh dich aus”. Und es bedeutet genau das, was es sagt. Wir sollen uns ausruhen, wenn wir uns müde, überfordert oder unseren Grenzen nahe fühlen. Noch besser ist es, wenn wir lernen, dies zu erkennen, bevor es soweit ist. Doch unabhängig davon, wann ihr es erkennt, gebt nicht auf, wenn ihr müde seid, sondern ruht euch aus. Gebt nicht auf, wenn ihr überwältigt seid, sondern macht eine Pause. Unser Leben ist zu kostbar und wir haben zu viel Schönes um uns, um nicht zu leben.
Ausserdem gewinnen sie genau auf diese Weise, indem sie uns dazu bringen, unsere eigene Existenz zu hassen und uns das Leben zu nehmen, und wir dürfen es nicht so weit kommen lassen. Mir selbst fällt es oft schwer, mit der Welt im Reinen zu sein, denn die Zeiten, in denen wir leben, können unserer Psyche grossen Schaden zufügen. Und ich selbst habe vor nicht allzu langer Zeit in den dunklen Abgrund gestarrt.
Diesmal habe ich mich gefragt, ob ich noch einen Lebenswillen in mir hatte, und ich wollte alles aufgeben. Damals wünschte ich, ich hätte es geschafft, mir das Leben zu nehmen, als ich zum ersten Mal eine schwere Depression hatte. Das ist jetzt 10 Jahre her und ich war noch ein Teenager. Und der Gedanke, die letzten zehn Jahre meines Lebens zu verpassen, war für mich so absurd, dass ich nicht glauben konnte, dass mir dieser Gedanke tatsächlich gekommen war. Ich war so geschockt, dass ich in der Lage war, mich kritisch von aussen zu betrachten und zu erkennen, wie sehr ich Hilfe brauchte. Ich schrieb meiner Wahlfamilie sowie meiner leiblichen Familie eine Nachricht, ich schrieb Freunden und meinem Therapeuten und ich rief meinen damaligen Partner an. Ich habe die Hand ausgestreckt. Und im Gegenzug erhielt ich nichts anderes als Liebe.
Ich weiss, dass nicht alle von uns über ein riesiges Netzwerk der Fürsorge und Zuneigung verfügen, aber Pride ist genau der richtige Ort, um neue Verbindungen zu schaffen, die auf Liebe basieren. Wir sollten uns gegenseitig Raum geben, um uns auszuruhen. Wir werden unsere Gemeinschaft mit Anmut und Sorgfalt betrachten, und uns daran erinnern, dass es keine Hierarchien geben sollte, aber angesichts der Lage der Dinge gibt es Dringlichkeiten. Da queere Verbündete uns als Gemeinschaft unterstützen müssen, werden wir auch unsere queeren Geschwister unterstützen, die durch verschiedene Unterdrückungssysteme gehen oder die direkt angegriffen wurden, wie die Trans- und BIPOC-Menschen in unserer Gemeinschaft.
Ich bitte euch, euch zu engagieren und mehr über die queeren politischen Themen in eurer Region zu erfahren. Unterstützt lokale queere Einrichtungen, queere Arbeitnehmer und queere Unternehmen. Beteiligt euch, soweit es euch möglich ist, aktiv am Kampf für eine bessere Lebensgrundlage für uns alle.
Als all die Menschen, denen ich die Hand ausgestreckt hatte, mich mit Liebe empfingen, fand ich die Kraft, ihnen ein Versprechen zu geben, und ich möchte, dass ihr alle mir das gleiche Versprechen gebt. Ich habe versprochen, dass ich gewinnen, überleben und gedeihen werde, indem ich lerne, mir so viel Ruhe zu gönnen, wie ich brauche, um zu leben und gut zu leben. Versprecht ihr mir also, dass ihr gewinnen, überleben und aufblühen werdet? Und dabei Pausen machen und sich ausreichend ausruhen werdet? Versprecht ihr mir das? Dann werden wir diesen Moment für immer festhalten und dieses Versprechen in unseren Herzen bewahren.
Danke!